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Interview mit Hermann Josef Eckl


Zum ersten Mal seit Gründung von Campus Asyl gehört Hermann Josef Eckl dem Vorstand nicht mehr an. Der katholische Hochschulpfarrer und Mitbegründer spricht über das Motiv für seinen Rückzug, den Erfolg des Vereins – und über sein neues Vogelhäuschen.

Warum bist Du bei der Neuwahl Anfang Juli nicht mehr für den Vorstand angetreten?

Eckl: Die Zeit war reif. Nach fünf Jahren Vorstandstätigkeit und sechs Jahren von der Gründung weg bei Campus Asyl ist es auch mal okay. Es gibt genügend Leute, die diese Vorstandstätigkeit wirklich gut machen können. Und es ist nicht so, dass ich weg bin vom Verein oder dass ich mich aus der inhaltlichen Arbeit zurückziehe. Mir ist wichtig, dass weiter die Verbindung bleibt zwischen Campus Asyl und unseren beiden Hochschulgemeinden, die einen wichtigen Anstoß für die Vereinsgründung gegeben haben. Auch ohne Vorstandsposten kann ich weiter eine unterstützende Rolle einnehmen.

Als katholischer Pfarrer erreichst Du Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen. Geht da nicht Signalwirkung verloren?

Ich glaube, das Signal hängt nicht am Vorstandsamt, sondern daran, dass ein Vertreter der katholischen Kirche hinter dieser Initiative steht. Dieses Signal, dass die Anliegen von Campus Asyl von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen werden müssen, gilt weiter. Nur dann können Integration und Miteinander funktionieren.

Campus Asyl wurde bereits 2014 gegründet – als viele das Thema Migration noch nicht groß auf dem Schirm hatten.

Der unmittelbare Anlass war, dass es im Dezember 2014 in Regensburg in der Zeißstraße eine Erstaufnahmeeinrichtung geben sollte. Die wurde schon im Zuge der politischen Bestrebungen errichtet, die Asylverfahren zu straffen – mal euphemistisch gesprochen. Rupert Hochholzer und ich haben uns im Herbst auf einen Kaffee getroffen und uns überlegt, dass wir auf diese Pläne reagieren sollten. Man konnte annehmen, dass vermehrt Geflüchtete kommen würden in prekärer Situation. Rupert war als Professor für Deutsch als Zweitsprache fachlich betroffen. Wir sahen es als Chance, in Verbindung von Uni und Hochschulseelsorge darauf zu reagieren und Kompetenzen zusammen zu legen – Ruperts Kompetenz beim Sprachenlernen und im Bereich Integration und wir als Hochschulgemeinde mit unserer Kompetenz, Ehrenamtliche zu gewinnen.

Was waren die ersten Schritte?

Wir sind in unsere Netzwerke hinein gegangen – sehr schnell waren viele Interessierte da. Da haben wir gemerkt: Oh, da geht was, der Funke zündet. Von Winter 2014 an entstanden die ersten Projekte in den Gemeinschaftsunterkünften. Dann kam der Sommer 2015. Und wir waren da und in der Lage, schnell alles hochzufahren.

Das Thema Asyl hat Dich lange vor 2014 beschäftigt. Wie kam es dazu?

Persönlich-biographisch war ich geprägt durch die Erfahrung der 90er Jahre, die mich im Bereich der Asylpolitik politisierte. Es gab da Slogans wie „Das Boot ist voll“, die hauptsächlich von der CSU und von Günter Beckstein propagiert worden sind. Es gab die rechten Verbrechen Anfang der 90er –  brennende Asylunterkünfte, Menschen, die bei den Anschlägen ums Leben kamen. Auch eine persönliche Erfahrung hat mich geprägt: Mein Heimatpfarrer in Straubing hat mich damals gebeten, mich einer afghanischen Familie anzunehmen, die sich an die Pfarrei gewandt hatte: drei Schwestern und ihre Eltern aus Kabul. Die jüngste Schwester wollte unbedingt Medizin studieren und hat mich gebeten, ihr zu helfen. Sie ist heute  Ärztin in München. Die Verbindung besteht immer noch. Mir ist klar geworden, dass es ein gesellschaftliches Engagement der Kirche braucht. Schon vor 2014 hat sich das Thema Migration wieder politisch zugespitzt und ich habe überlegt, mich in der Katholischen Hochschulgemeinde gesellschaftlich in diesem Feld zu engagieren. Es hat aber zunächst der Fokus gefehlt. Im Dezember 2014 war die Konstellation da und ich war innerlich bereit, anzupacken.

In einem Blogbeitrag auf Deiner Website befasst Du Dich mit Ressentiments, sozialer Kälte und dem Unwillen mancher, zugewanderten Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Du schreibst: „Die schlimmste Gefahr für eine aufgeklärte Gesellschaft ist die Einbildung, bereits aufgeklärt zu sein.“

Manche meinen, die Menschen, die zu uns kommen, müssten „unsere“ Werte übernehmen. Aber wenn es wirklich gemeinsame Werte sein sollen, sind das ja nicht „unsere“ Werte. Sie gehören ja niemandem. Wir haben jetzt die Chance, bestimmte grundlegende Werte selber wieder neu und vielleicht auch tiefer und reicher zu entdecken. Zum Beispiel, was Menschenwürde und Gleichheit bedeuten. Wir stehen da vor einem großen Lernschritt, der uns bereichern kann.

Siehst Du diese Werte überhaupt gegeben, wenn man bedenkt, was seit Jahren auf dem Mittelmeer passiert?

Was auf dem Mittelmeer und insgesamt in der Asylpolitik passiert, ist eine katastrophale Verletzung der Menschenwürde, das ist überhaupt keine Frage. Das heißt nicht, dass es für all das schnelle Lösungen gibt. Für mich bedeutet es aber, dass wir uns dem stellen müssen, dass die Menschenwürde gravierend verletzt wird. Nur wenn wir tatsächlich hinschauen und uns dieser Schmerzhaftigkeit aussetzen, nur dann sind wir bereit, etwas zu verändern. Wir verletzen zentrale Werte unseres eigenen Selbstverständnisses. Das ganze Grundgesetz baut auf der Menschenwürde auf. Auch in der Art und Weise, wie wir Integration gestalten, halten wir uns nicht in jeder Hinsicht an unsere eigenen Werte – was Gleichheit anbelangt zum Beispiel. Wir hätten jetzt die Chance, neu auszubuchstabieren: Was verstehen wir unter Kultur, Religion, Religionsfreiheit?

Campus Asyl versteht sich nicht als „Hilfsverein“, sondern setzt auf die gleichberechtigte Mitsprache und Mitgestaltung von Geflüchteten.

Am Anfang ging es tatsächlich um Hilfsprojekte. Die Menschen waren in Turnhallen und Notunterkünften. Da musste man Hand anlegen. Als die allerersten Nöte gestillt waren und sich die Situation geordnet hatte, wurde es wichtig, dass wir uns und unsere Projekte in unserem Selbstverständnis weiterentwickeln. Eine unserer Grundideen ist: Wir begreifen diese Situation, dass Menschen zu uns kommen, als Chance – nicht im romantischen Sinn oder in dem Sinn, dass wir Probleme oder Herausforderungen naiv verklären. Wir sehen es als eine Chance des gegenseitigen Lernens: Wir haben eine neue gesellschaftliche Situation und es ist unsere Aufgabe, daraus das Beste zu machen.

Siehst Du Campus Asyl in jeder Hinsicht auf einem guten Weg oder gibt es etwas, bei dem Du sagst: Da müssten wir noch hinkommen?

Wir haben erstaunlich viel erreicht, das hätte niemand vor fünf, sechs Jahren vorausgesehen. Alleine schon die Tatsache, dass es uns immer noch gibt, ist ein Erfolg. Ich weiß aus der kirchlichen Vernetzungsarbeit, dass viele der Initiativen, die sich zeitgleich gebildet haben, sich nicht so stark und langfristig gehalten haben. Dass es uns gelungen ist, uns als konstante gesellschaftliche Größe zu etablieren, war ein wichtiger Schritt.

Was ist der nächste Schritt?

Wir stehen als Gesellschaft vor der Aufgabe, ein neues Miteinander zu schaffen – nicht nur in Hinsicht auf die Flüchtlingspolitik, sondern insgesamt, was Diskussionen über Diversity und Identitätspolitik angeht. Das neue gesellschaftliche Miteinander wird hoffentlich vielfältiger sein und gleichberechtigter. Es geht nicht nur darum, dass Geflüchtete Arbeit bekommen und menschenwürdige Lebensbedingungen haben, sondern auch darum, dass sich Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Herkunft auf Augenhöhe begegnen und wir das Gefälle an Macht und  an Definitionshoheit überwinden. Es wird Aufgabe von Campus Asyl sein, sich an diesem Prozess zu beteiligen. Wir sehen uns als gesellschaftliche Kraft, die das neue Selbstverständnis von Gesellschaft  fördern und mit entwickeln möchte.

Mehr als 2.000 Freiwillige haben sich seit 2014 bei Campus Asyl engagiert. Aus einer Handvoll Engagierter ist ein Verein mit aktuell 328 Mitgliedern gewachsen. Worin siehst Du das Erfolgsgeheimnis?

Wir konnten uns sehr früh institutionalisieren, sind den Schritt zur Vereinsgründung gegangen und haben eine Geschäftsstelle errichtet. Zwar hängen wir entscheidend von Ehrenamtlichen ab, aber das Rückgrat für deren Engagement bilden die Hauptamtlichen. Um professionell zu arbeiten, brauchen wir auch weiterhin Förderung, Gönner und Institutionen, die uns unterstützen. Die Corona-Krise hat leider zu einem relativ starken Rückgang von Spenden geführt, was uns in den kommenden Monaten vor einige Probleme stellen wird. Zudem war es uns wichtig, unsere Projekte  mit professioneller Kompetenz zu gestalten. Sie wurden auch evaluiert, teilweise wurden Bachelor- und Masterarbeiten dazu geschrieben. Als Gremium der Mitverantwortung und Mitgestaltung für Geflüchtete wurde der Beirat geschaffen, der mittlerweile in der Satzung institutionalisiert ist. Seit mehreren Perioden sind Menschen mit Fluchthintergrund auch im Vorstand aktiv. Die Institutionalisierung und das frühzeitige Bemühen um Partizipationsmöglichkeiten sind Bausteine für den Erfolg.

Jetzt müssen wir noch klären, was es mit dem Vogelhäuschen auf sich hat, das Du als Dank für Deine Vorstandstätigkeit geschenkt bekommen hast?

Seit meiner Kindheit bin ich Hobbyornithologe. Am Anfang stand kindliche Naturbegeisterung. In der Grundschule habe ich leidenschaftlich Vogelbücher gelesen, meine Taufpatin hat mir das erste Fernglas geschenkt. Mit meinen Eltern bin ich an den Neusiedler See in Urlaub gefahren und habe dort – teilweise zu ihrer Verzweiflung – den ganzen Urlaub lang Vögel beobachtet. Als Schüler ist mir schnell klar geworden, dass ich mein schönes Hobby nur weiterpflegen kann, wenn die Natur erhalten bleibt. Das Initialerlebnis vor meiner Haustür in Straubing war der Rhein-Main-Donau-Kanal – ein jahrzehntelanger Kampf und eine jahrzehntelange Naturzerstörung, die bis heute anhält. Als Schüler habe ich die Baumaßnahmen fotografiert, es war wie eine Mondlandschaft. In meiner Schul- und beginnenden Studienzeit war ich in der Initiative „Rettet die Donau – Stoppt den Kanal“ des Bund Naturschutz und habe am Stadtplatz in Straubing Flyer verteilt. Seitdem ist das Thema Ökologie und Naturschutz ein ganz wichtiges für mich. Die Schönheit der Natur tut mir gut, da steckt auch die Wertschätzung für das Leben drin. Vögel beobachte ich immer noch. Ich sage aber nicht, wo.

Hat das Vogelhäuschen schon einen Platz?

Da muss ich erst noch einen finden. Aber erst muss ich die Schokolade drumherum verzehren.

 

Das Interview führte Katharina Kellner



28.07.2021 13:46,
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