Sie sind zwei der bekannten Gesichter von CampusAsyl: Für Moatasam Mohammad Ali Yunes und Youssouf Issakha Adam ist es ihr siebtes Jahr in Deutschland.
Beide sind 2015 angekommen und haben bald zu CampusAsyl gefunden: Moatasam Mohammad Ali Yunes und Youssouf Issakha Adam engagieren sich heute dafür, Anderen das Ankommen zu erleichtern. Der Verein profitiert nicht nur von Moatasams und Youssoufs persönlichen Erfahrungen, sondern auch von ihrem besonderen Engagement: Beide bringen sich sowohl im Beirat als auch im Vorstand ein.
Was bedeutet Ankommen in Deutschland für sie und warum engagieren sie sich? Davon haben die beiden unabhängig voneinander erzählt. Ihre Herangehensweise ist unterschiedlich: Während Moatasam einen Bogen spannt und viel über sein früheres Leben im Irak, seine Flucht, sein Ankommen in Deutschland und sein Leben heute erzählt, fokussiert sich Youssouf stark auf seine politischen Anliegen. So verkörpern auch diese beiden Vorstandsmitglieder die Vielfalt, die den Verein CampusAsyl auszeichnet.
Moatasam kam am 1. Oktober 2015 aus der Türkei über Österreich in München an. Schon am Tag danach sei es weiter nach Regensburg gegangen. Er wurde im „Ankerzentrum“ in der Zeißstraße untergebracht. Die ersten vier Tage dort sei er krank gewesen, erinnert er sich: Er hatte 23 Stunden Fußmarsch in regennassen Kleidern hinter sich und wohl schmutziges Wasser getrunken, so dass er mit Antibiotika behandelt wurde. Ende November 2015 musste er in den Landkreis umziehen – nach Hemau, wo es keine Bahnanbindung gibt. Die Zeit dort war nicht einfach, wie Moatasam erzählt: Er fuhr jeden Tag mit dem Bus eine Stunde einfach nach Regensburg zum Sprachkurs. Untergebracht war er in einem „Ausländerhaus“, wie er es nennt, mit einer Familie und zwei anderen Männern teilte er sich eine Gemeinschaftsküche. Zu Einheimischen habe sich kein Kontakt ergeben. Moatasam fing damals an, für andere Menschen zu dolmetschen – auch um selbst die Sprache leichter zu lernen. Das Gefühl, zu helfen, gefiel ihm. Zudem ist er vielsprachig: Neben Arabisch spricht er auch Turkmenisch und Kurdisch.
Moatasam besuchte 2017 zunächst die Pflegeschule des Bezirks und begann 2018 eine Pflege-Ausbildung im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder. Wegen des frühen Arbeitsbeginns war er auf ein Auto angewiesen, was ein zähes Ringen mit dem Jobcenter um die Finanzierung eines Führerscheins und eines halbwegs fahrtüchtigen Fahrzeugs bedeutete. Nach drei Jahren in Hemau konnte er Anfang Januar 2019 nach Regensburg umziehen, wo er zunächst noch zur Untermiete wohnte. Mittlerweile hat er eine Mietwohnung für sich – ein Zustand, den er bereits zu seiner Zeit im Irak herbeigesehnt hatte. Dort hatte er nach seinem Diplom in Elektrotechnik in einem großen Geschäft gearbeitet, oft 14 Stunden pro Tag mit einem Stundenlohn von sieben Euro. „Das Geld reichte nur für Essen und Trinken“, sagt er. Er habe keine richtige Wohnung gehabt und häufig im Geschäft geschlafen, obwohl dies nicht erlaubt war. Moatasam stammt aus Kirkut, dem Zentrum der irakischen Erdölindustrie im Norden. Die Region ist zwischen Bagdad und der kurdischen Regionalregierung umstritten – Moatasam erzählt vom spannungsreichen Zusammenleben von Kurden und Arabern. Zudem hatte die Terrormiliz Islamischer Staat den Wohnort seiner Familie bedroht.
Eine wichtige Hoffnung hat sich für Moatasam in Deutschland nicht erfüllt: Obwohl er nun schon sieben Jahre im Land ist, werde sein Aufenthalt nur befristet verlängert. Er dürfe nicht reisen, habe keine Erlaubnis, Familie nachkommen zu lassen. Trotz C1-Sprachzertifikat, Ausbildung und ehrenamtlichem Engagement habe er auf seinen jüngsten Antrag auf Verlängerung nur eine Bescheinigung bis 2. Juni erhalten.
Diese Unsicherheit steht dem Gefühl, richtig angekommen zu sein, im Weg. Auch in beruflicher Hinsicht musste er Kompromisse eingehen: Die Ausbildung als Physiotherapeut, die er hatte machen wollen, wurde ihm nicht bewilligt. Anfang 2020 ließ er sich zum Kulturdolmetscher ausbilden. Mittlerweile arbeitet er bei den Johannitern als Übersetzer aus dem Arabischen und dem Kurdischen. Er überlegt, noch eine Ausbildung als Rettungssanitäter zu machen, da er im medizinischen Bereich bereits versiert ist.
Youssouf stellt gleich zu Beginn des Gesprächs klar: Über sich selbst will er gar nicht viel sprechen. „Es gibt viele, die ein härteres Schicksal haben“, sagt er. Ihn bewegen seine politischen Anliegen: Allem voran Antirassismus, ein Thema, zu dem er auch öffentlich Stellung nimmt. Oder die Frage, wie sich die Vereinsarbeit verbessern lässt. Doch sein Engagement bei CampusAsyl hat offenbar mit seinen persönlichen Erfahrungen im Tschad zu tun. Dort hat er sich politisiert. Das Land ist nach Angaben des Welternährungsprogramms das drittärmste der Welt. Es gibt dort zwar reiche Ölfelder, doch die Einnahmen sind nie bei der Bevölkerung angelangt. Langzeitherrscher Idriss Déby, der vor einem Jahr starb, hatte Kritiker und Opposition viele Jahre lang mit Unterdrückung und Gewalt überzogen. „Ich bin oft gefragt worden, warum ich nicht nach Frankreich gegangen bin“, erzählt Youssouf. Schließlich spricht er Französisch – neben Arabisch ist das die Amtssprache im Tschad. Doch Youssouf wollte bewusst nicht in das Land der ehemaligen Kolonialmacht. Von ihr ist der Tschad zwar seit 1960 unabhängig, doch Frankreich hatte Präsident Déby als Verbündeten im Kampf gegen den Dschihadismus in der Sahelregion gestützt – trotz dessen Menschenrechtsverletzungen.
Dass Youssouf in Deutschland landete, sei Zufall gewesen, sagt er. Dass es bedeutete, eine neue Sprache zu lernen, unabhängig davon, ob er bleiben konnte oder nicht, sah er von Anfang an als Gewinn an. Gleich an seinem ersten Tag in Deutschland kam er nach Regensburg. Über sein Ankommen sagt er, er habe zwar bei Null anfangen müssen, doch er habe Ziele gehabt – zum Beispiel, unabhängig zu sein: Neben seinem Sprachkurs suchte er sich einen Job in einem Regensburger Hotel. Nach einem Praktikum wurde ihm dort ein Ausbildungsvertrag angeboten. Von 2017 an lernte er Hotelfachmann und arbeitet bis heute in diesem Hotel – mittlerweile betreut er dort selbst Auszubildende. Neben Deutsch hat er wegen der Kontakte im Hotel auch Englisch gelernt. Sein Beruf macht ihm Spaß: „Im Hotel lerne ich, mit Menschen aus verschiedenen Ländern umzugehen.“
Youssouf sagt, als er ankam, habe er hohe Erwartungen gehabt – an Menschen und an Behörden. Er dachte, sie würden von sich aus auf ihn zukommen, täuschte sich aber: „Ich musste selber nachfragen, alle Schritte mussten von mir kommen“, sagt er und kritisiert: „Integration sollte nicht nur von einer Seite kommen.“ Doch Youssouf wollte sich nicht unterkriegen lassen. Er habe sich gesagt, er müsse seine eigene Einstellung ändern: So arbeitet er an seiner Art zu kommunizieren und setzt auf die verbindende Wirkung von Smalltalk, egal ob im Café oder beim Behördengang. „Positiv auf die Umgebung zu wirken, erleichtert viel“, sagt Youssouf.
Das Thema Kommunikation beschäftigt ihn auch als politischen Menschen, der er ist: Youssouf wünscht sich, dass seine Gesprächspartner konstruktive Kritik nicht persönlich nehmen. Er selbst halte das ebenso: „So lange jemand nicht verletzend oder herablassend ist, muss er mich nicht wie ein rohes Ei behandeln.“ Schon im Tschad hatte er häufig politische Kontroversen mit zwei Cousins: „Wir haben uns schon früh für Politik interessiert. Wir hatten nie eine Meinung gemeinsam, aber viele Gesprächsthemen. Die Leute konnten nicht begreifen, dass wir nicht zerstritten sind.“ Heute denke er viel darüber nach, ob er jemanden durch seine Kritik verletzt habe – oder mit seinen Witzen verwirrt, weil er gerne ironisch spreche.
Sowohl Youssouf als auch Moatasam gibt das ehrenamtliche Engagement bei CampusAsyl ein gutes Gefühl: Youssouf kam erstmals 2016 in Kontakt mit dem Verein. 2018 erfuhr er bei einem Infostand, dass Mitglieder für den Beirat willkommen seien. Dieses Gremium von CampusAsyl besteht aus Menschen mit Fluchterfahrung, die im Verein Verantwortung tragen sollen. Dieses Miteinander auf Augenhöhe ist Youssouf wichtig, für die Zukunft wünscht er sich noch mehr Aktive mit Fluchterfahrung. Ihm selbst ist CampusAsyl Heimat geworden: „Der Verein bedeutet für mich einen Ort, an dem man Neues lernen kann.“ Youssouf hofft, dass das Anliegen von CampusAsyl eines der ganzen Gesellschaft wird. Von Einheimischen wünscht er sich Bereitschaft, sich in die Situation von Geflüchteten einzufühlen: „Sie sollen Empathie zeigen, nicht Mitleid.“
Moatasam will Anderen einen guten Start erleichtern: „Die Erfahrung in Hemau hat mich inspiriert, mich zu engagieren“. Er ist mittlerweile denkbar gut vernetzt in der Stadt: Er beteiligte sich am CampusAsyl-Gartenprojekt, in verschiedenen Sportgruppen, im Arbeitskreis Politik, bot Umzugs- und Übersetzungshilfe an und wurde 2019 Mitglied im Beirat. Seit Juli 2021 ist er zudem Vorstandsmitglied und Vertreter von CampusAsyl im Integrationsbeirat der Stadt. Zudem beteiligt er sich an der Regensburger „Religions for peace“-Gruppe.
Youssouf mischt sich auch in die Regensburger Stadtpolitik ein – zum Beispiel in die Diskussion um die „Drei-Mohren“-Straße: In seiner Funktion als Mitglied des städtischen Integrationsbeirates gab er kürzlich ein TV-Interview zu dem umstrittenen Straßennamen. „Wir wollen den verletzenden Begriff abschaffen oder durch einen positiven ersetzen“, sagte er in die Kamera. Und: „Ich bin schwarz, ich bin Mensch, fertig. Dafür braucht es keine eigene Bezeichnung.“
Wenn Youssouf heute darauf blickt, was er inzwischen alles gelernt hat, sagt er: „Zwischen 2015 und heute liegt ein Riesenunterschied.“ Und doch kommen seine Kenntnisse ihm heute ein Stück weit selbstverständlich vor: „Vielleicht würde ich es erst dann merken, wenn ich in den Tschad zurückkehren würde.“
Von Katharina Kellner