
Am Abend des fünften November hatte die Katholische Erwachsenenbildung in Kooperation mit Campus Asyl und der Buchhandlung Dombrowsky zu einer Lesung mit Max Czollek eingeladen und die Buchhandlung war bis zum letzten Platz gefüllt. Der 32-jährige Berliner Schriftsteller las Ausschnitte aus seinem 2018 erschienen Buch „Desintergriert euch!“, das er selbst als „unsachliches Sachbuch“ bezeichnet und mit dem er einen Einblick in eine junge jüdische Perspektive auf die aktuelle Integrationsdebatte und die gesellschaftlichen Entwicklungen hin zur Stärkung rechter Strömungen gibt.
Der Autor beginnt damit, „das deutsche Bild von den Juden zu analysieren – und zu fragen, was überhaupt die lebenden Juden und Jüdinnen mit diesem Bild zu tun haben.“ Er spricht davon, dass Juden und Jüdinnen in Deutschland eine bestimmte Rolle im deutschen Gedächtnistheater zugewiesen werde, nämlich die zu verkörpern, „dass die deutsche Gesellschaft ihre mörderische Vergangenheit erfolgreich verarbeitet“ habe. Laut Czollek sei jedoch genau das Gegenteil der Fall: die letzten 70 Jahre zeugten nicht von der Überwindung des Nationalsozialismus, sondern von seiner Integration, sodass Nationalstolz und damit verbunden auch völkische, nationalistische Sichtweisen, insbesondere seit der Wiedervereinigung und der WM 2006, wieder zur Normalität würden. Darüber hinaus stellt Czollek das Paradigma der Integration grundsätzlich in Frage, welches heute zum allgemeinen politischen Konsens geworden sei und Migranten und Migrantinnen, die nach Deutschland kommen, auferlegt werde. Es bestehe in der Politik Einigung darüber, dass Integration der einzig wahre demokratische Ansatz für eine vielfältige Gesellschaft sei, was neben dem Gedächtnistheater zu einem Integrationstheater führe, bei dem das deutsche „Wir“ die dominante Rolle gegenüber einem zwischen guten und schlechten Immigrant*innen geteilten „Ihr“ einnimmt. „Ethnisch Deutsche“ seien in dieser Einstellung per Definition demokratiefähig, während Menschen mit Migrationshintergrund oder schlicht „abweichendem“ Aussehen oder Religion der Mehrheitsgesellschaft ihre Integrationsbereitschaft beweisen müssten. Statt der Anpassung an eine vermeintlich einheitliche deutsche Aufnahmegesellschaft, fordert Czollek eine Umverteilung von Macht und eine radikale Offenheit der ohnehin schon vielfältigen Gesellschaft, da diese durch die Integrationsidee längst nicht mehr fassbar sei.
Der Autor möchte mit seinem Buch „positiven deutschen Nationalismus problematisieren, der sich hinter Konzepten wie deutscher Leitkultur, jüdisch-christlichem Abendland oder der Gründung eines Heimatministeriums verbirgt“. Mit provokanten Thesen und humorvoll gestellten Fragen wie der, ab wann „man denn nicht mehr als Integrationsverweigerer, sondern als frustrierter Deutscher“ gelte, ruft er zur Reflexion und zum Infrage stellen bestehender Denkweisen auf. Nachdem Max Czollek einige Ausschnitte aus „Desintegriert euch!“ vorgelesen hatte, schloss sich eine Diskussionsrunde an, in der die Zuhörer und Zuhörerinnen mit dem Autor ins Gespräch kommen konnten. Dabei kamen besonders die Parallelen und Verknüpfungen zwischen Antisemitismus, Antiislamismus und Rassismus zur Sprache und Czollek stellte seinen Appell klar, an einer Gesellschaft zu arbeiten, in der alle ohne Angst leben können. Er verwies aber auch darauf, dass es ihm darum gehe einander zuzuhören und verschiedene Meinungen zu haben, ohne einander zwangsläufig überzeugen zu müssen. Obwohl die knappen zwei Stunden der Lesung natürlich viel zu schnell vorübergingen, um den dringend notwendigen Dialog über die angesprochenen Themen zu Ende zu führen, gingen an diesem Abend sicherlich viele der Besucher und Besucherinnen mit neuen Denkanstößen und Gedankenimpulsen nach Hause.
(von Antonia Vollmer)